Farbbehandlung – Ein Thema so interessant wie eine Wurzelbehandlung?

Diese Hand ist Board 8 vom ersten Durchgang der Bundesliga Saison 2020 (um 90 Grad gedreht, damit Süd zum Alleinspieler wird).

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Reizung

Dieses Board zeigt, wie aggressiv im Team Vollspiele ausgereizt werden sollten. 22 gemeinsame Punkte, Fit, Kürze und ♣ Länge reichte an fast allen Tischen zum Vollspiel. 4♠ von Ost war auf jeden Fall der Standardkontrakt. Wenn man aber so aggressiv reizt, dann sollte man den Kontrakt auch erfüllen.

Verlierer

Nach dem Ausspiel hat man in ♠ keinen Verlierer, in einen und in den Unterfarben jeweils 2. Sofern das A bei West oder das A bei Ost ist, kann man ein auf wegschmeißen. Sollten wirklich beide Asse falsch sitzen, wird man nicht erfüllen können. Über Dinge, die man nicht ändern kann, sollte man sich auch nicht den Kopf zerbrechen. Insofern sollte man die Trümpfe ziehen und dabei aufgrund der wenigen Übergänge bei Nord enden. Anschließend muss man sich wohl oder übel folgender Frage zuwenden:

Wie spiele ich die Treff?

Dazu gibt es folgende sinnvolle Spielweisen:

  1. In der ersten Treffrunde schneiden, in der zweiten Treffrunde das Ass schlagen.
  2. In der ersten Treffrunde das Ass schlagen und danach eine der diversen mittleren Karten spielen.
  3. Zweimal schneiden.

Teil 1: Figurenbehandlung – Wie bekomme ich die beste Spielweise heraus?

Welche Spielweise ist die beste? Es gibt sicherlich einige Exoten, die auswändig wissen, wie man welche Figurenkombination spielt. Eine Anmerkung zur Orthographie: Auswändig schreibt man hier deshalb mit „ä“, weil man ganze Wände vollschreiben kann mit diversesten Figurenkombinationen und wie man diese am besten behandelt. Andere wählen den Spielplan je nach Gefühl mal so mal so – entweder, weil sie intuitiv vermuten, welcher Spielplan die besten Chancen haben soll oder weil sie ein Gespür haben, wie die Karten beim Gegner verteilt sind oder weil sie keine Lust haben, sich über so was den Kopf zu zerbrechen.
Nun ist es ja so, dass ich Informatiker bin. Einer solchen Person ist es höchstens bei der Wahl des Lieblingsvereins und seines Ehepartners gestattet (in dieser Reihenfolge?), sich auf seine Gefühle zu verlassen. Ansonsten sind einem Informatiker Gefühle natürlich suspekt, sonst hätte er ja was anderes studiert. Auswändig lernen mach ich auch nicht gerne. Insofern wähle ich einen alternativen Weg: Nachdenken. Das mag dem ein oder anderen suspekt erscheinen. Aber ganz vereinzelt ist das Konzept des Nachdenkens gar nicht mal so verkehrt.

Wenn ich mal wieder nicht weiß, wie ich eine Farbkombination spiele, wie gehe ich dann vor?
Erstmal überlege ich mir alle Treffkombinationen, bei denen sämtliche Spielplänen sowieso keine Chance haben und vergesse diese dann sofort wieder. Warum soll ich mir den Kopf über Dinge zerbrechen, an denen ich eh ändern kann? Insofern kann man sich bei der folgenden Betrachtung darauf konzentrieren, dass Süd nicht ♣KDx(x) hat.
Anschließend konzentriere ich mich auf die Figurenkombinationen, bei denen ein Spielplan Misserfolg hat, während mind. ein anderer Spielplan funktioniert.

  • Spielplan 1 scheitert, wenn Nord K53 oder D53 hat.
  • Spielplan 2 scheitert, wenn Nord KD53, KD5 oder KD3 hat
  • Spielplan 3 scheitert, wenn Süd KD hat.

Nachdem ich mir überlegt hab, wann welche Spielweise schlechter ist, zähle ich einfach, wie oft welcher Spielplan scheitert und weiß damit, welchen Spielplan ich wählen soll.
Insofern ist Spielplan 3 besser als Spielplan 1, der wiederum besser als Spielplan 2 ist.
Außerdem hat Spielplan 2 den zusätzlichen Nachteil, dass im Erfolgsfall Nord an Stich kommen und durchspielen kann. Dies passiert genau dann, wenn Nord ♣Kx, Kxx oder Dxx hat. Sprich: Auch wenn man mit Hilfe von Spielplan 2 die Trefffarbe erfolgreich behandelt haben sollte, kann es sein, dass man anschließend fällt, weil man in 2 Stiche verliert. Das Ganze hört sich jetzt vielleicht relativ kompliziert an. Wenn man sich eine solche Vorgehensweise aber mal angewöhnt hat, bekommt man schnell etwas Übung darin, so dass die notwendigen Überlegungen mit der Zeit deutlich leichter und schneller ablaufen.

Teil 2: Die Psychologie beim Bridgespiel

An unserem Tisch hat der Alleinspieler korrekterweise in der ersten Treffrunde geschnitten (Spielplan 1 oder Spielplan 3) und an die ♣D verloren. Um jetzt Spielplan 3 zu verfolgen, muss er allerdings wieder an den Dummy kommen, was mangels Übergang nicht funktioniert. Insofern wird man sich also notgedrungen für Spielplan 1 entscheiden und fallen, da Nord ♣K53 hat.

Bevor der Alleinspieler sich bei uns für Spielplan 1 entscheiden musste, ereignete sich folgendes: Aufgrund eines Fehlers in unserem Gegenspiel haben wir zweimal Coeur gespielt, so dass der Dummy doch nochmal an den Stich kam. Mit der Südhand ist es halt auch nicht so leicht, 2 Runden Karo zu spielen. Insofern hätte der Alleinspieler doch noch Spielplan 3 wählen und erfüllen können. Allerdings gab es kurz vorher im Bridgemagazin eine sehr gute Artikelserie von Pierre Saporta über die Magie des Alleinspiels. In der Artikelserie erzählen verschiedene historische Personen über die Erkenntnisse, die sie am Bridgetisch gewonnen haben. In einer Folge kommt Sigmund Freud zu Wort, der die psychologische Seite des Bridgespiels betrachtet. Hier meint er, dass man sich bei einem Fehler der Gegner fragen soll, ob diese den Fehler vielleicht absichtlich begangen haben können, um einen auf die falsche Fährte zu locken.

Haben wir den Dummy vielleicht an den Stich kommen lassen, damit er Spielplan 3 und nicht Spielplan 1 verfolgen soll? Hat also Süd exakt ♣KD?

Über diesen Punkt dachte der Alleinspieler zu recht sehr lange nach. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir einen Fehler gemacht haben, weil wir das nun mal ab und an machen? Oder wie wahrscheinlich ist es in einer solchen Situation, dass wir den Alleinspieler auf die falsche Fährte führen wollen. Man merkt, dass der Gegner uns nicht so gut kennt, sonst wär die Entscheidung leicht. Insofern war das eine sehr schwierige Entscheidung für den Alleinspieler, da die Beantwortung sicherlich signifikant von der Spielstärke der Gegenspieler abhängt. Ich möchte nicht ausschließen, dass wir nicht auch mal Geistesblitze haben und 2x absichtlich gespielt hätten, wenn Süd tatsächlich ♣KD gehabt hätte. Es ehrt uns auf jeden Fall, dass der Alleinspieler uns eher zutraute, mit ♣KD auf Süd ein solch gutes Gegenspiel hinzubekommen als mit ♣D auf Süd ein solch schlechtes. Allerdings wurden an den meisten anderen Tischen 4♠ nach dem gleichen Ausspiel erfüllt. Vermutlich haben einige Alleinspieler haben Spielplan 2 gewählt oder es haben noch mehr Gegenspieler den gleichen Fehler begangen, so dass die Alleinspieler von Spielplan 1 auf Spielplan 3 wechseln konnten.

Lerne: Sigmund Freuds Erkenntnisse über das Bridge sind sicherlich sehr gut. Man darf allerdings den Gegnern nicht zu viel zutrauen. Ab und an (oder in der Regel?) macht man Fehler, nicht um den Alleinspieler auf die falsche Fährte zu führen, sondern weil man einfach Fehler macht.

Hier der komplette Ablauf des Boards:

Teil 3: Das Ausspiel

Süd hat in dem Board ein sehr schweres Ausspiel. An vielen anderen Tischen wurde die Single ♣D ausgespielt, wodurch der Kontrakt nicht mehr zu schlagen ist. Da Nord niemals dran kommt, um Karo durchzuspielen, kann der Alleinspieler einfach ein Karo auf Coeur loswerden und gibt jeweils einen Stich in jeder Nebenfarbe ab. Wenn man ein Single ausspielt, hofft man darauf, einen Schnapper zu bekommen. Dies setzt aber voraus, dass Partner an den Stich kommt, solange man noch Trümpfe hat. Je mehr Punkte man selber in einem gegnerischen Vollspiel hat, umso weniger hat i.d.R. der Partner und umso schwieriger ist es, dass Partner einen den Schnapper geben kann. Insofern ist es im aktuellen Board sinnvoll, passiv Pik auszuspielen.